Online-Chronik der Stadt Mügeln
 

Kartoffelflockenfabrik / landwirtschaftliche Genossenschaft

Angeregt durch die Tatsache, dass die Kartoffel während der Aufbewahrung von einer Ernte bis zur nächsten durch Fäulnis, Keimen und Rückgang an Nährwerten einen Verlust bis etwa 25 % erleidet, begann man sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, ein Mittel gegen diese Entwertung ausfindig zu machen, um ein längere Zeit haltbares Futter zu gewinnen. Der Ge-danke realisierte sich auch in dem System der Trocknung und weiteren Verarbeitung der Kartoffeln zu Flocken, die als rationelles Futtermittel auch bald allgemeine Verbreitung er-langten.
Als die Kartoffelflocken auch in der Mügelner Gegend zur allmählichen Einführung kamen, wurde der Entschluss reif, hier eine eigene Fabrik zur Herstellung dieses Erzeugnisses zu er-richten. Abgesehen von den erwähnten Gründen, die die Verwendung von Kartoffelflocken als Futtermittel befürworteten, wollte man durch Errichtung einer eigenen Fabrik auch noch eine gewinnbringende Verwertung des auf Vorrat getrockneten Futters in jenen Jahren erzie-len, in denen der Kartoffelmarkt durch reiche Ernten infolge damit verbundener niedriger Preise einen Gewinn nicht ermöglicht. Man nahm an, dass hierdurch schließlich ein Aus-gleich der Futterpreise in Jahren mit hohen und niedrigen Erträgnissen erzielt werden könnte. Nicht unbeachtet ließ man auch die großen Summen, die alljährlich für Futtermittel, die teil-weise durch Kartoffelflocken ersetzt werden können, nach dem Auslande wandern.
In Erwägung all dieser Gedanken gründeten im Jahre 1908 etwa 120 Landwirte die Kartof-felflockenfabrik Mügeln als landwirtschaftliche Genossenschaft.
Das zunächst benötigte Bauland mit ca. 10 000 qm Flächengröße wurde zum Preise von 0,80 Mk. per qm gekauft, es liegt am Bahnhof Mügeln in Flur Grauschwitz und an der Bahnlinie sowie Staatsstraße Mügeln – Strehla. Der Fabrikbau wurde so ausgeführt, dass eine Erweite-rung des Betriebes leicht möglich sein sollte, da man damit rechnete, dass die Genossen-schaft noch eine größere Anzahl Anhänger gewinnen würde. So wurden das Kesselhaus, der Apparateraum und die Kartoffelwäsche groß genug vorgesehen, um später Betriebsvergröße-rungen bequem durchführen zu können.
Die noch im Entstehen begriffene Trocknungsindustrie ließ die Wahl eines geeigneten Trocknungssystems sehr schwer erscheinen. Nach vorangegangenen Besichtigungen ent-schloss man sich für das System „Tätosin“, Berlin, das damals zweckmäßig erschien. Die Dampfkessel- und Maschinenanlage wurde zur Ausführung der Maschinenfabrik Germania Chemnitz übertragen.
Die Fabrik wurde im Frühjahr 1909 fertiggestellt und mit einem Probebetrieb mit dem noch um diese Zeit vorhandenen Kartoffeln begonnen. Die Leistung betrug bei 1 Dampfkessel und 2 Walzentrockenapparaten täglich ca. 350 Ztr. Kartoffeln, die Kartoffelflocken verarbeitet wurden.
Im selben Jahre wurde die Anlage schon erweitert, ebenso in den folgenden Jahren.
Die Mitgliederzahl stieg infolge großen Anhanges seit der Gründung von
120 Mitgliedern mit 38 000 Ztr. Pflichtkartoffeln bis auf
600 Mitglieder mit 160 000 Ztr. Pflichtkartoffeln jetzt.
Im Sommer 1914 wurde die Trocknerei nach dem System Förster-Magdeburg umgebaut und erweitert, sodass jetzt 3 Dampfkessel mit zusammen 230 qm Heizfläche und 5 Zweiwalzen-trockner System Förster vorhanden sind, womit bei vollem Betriebe bei Tag- und Nachtbe-trieb eine tägliche Verarbeitung von 2 000 Ztr. Kartoffeln erzielt wird. Um die Kartoffelflo-cken lagern zu können, sind große Speicher vorhanden, die ca. 15 000 Ztr. Kartoffelflocken aufnehmen können. Die Fabrikanlage besitzt außerdem Gleisanschluss vom Bahnhof Mü-geln, Geschirrwaage, Eisenbahnwagonwaage, elektrische Rangieranlage zum Bewegen der Eisenbahnwagen, Kartoffellagerbehälter und Klärteiche zur Aufnahme aller Ab- und Schmutzwässer. Zur Beleuchtung dient eine eigene elektrische Lichtanlage.
Die Kartoffeln werden auf dem Hofe in Behälter abgeladen und in Rinnen mittels Wassers einem Kratzer zugeschwemmt, der sie in die Wäsche befördert. Die dafür benötigte große Menge Wasser wird durch automatische pumpen einem Brunnen entnommen; nachdem die-ses seine verschiedenen Zwecke verrichtet hat, als Abwässer den Klärteichen zugeführt, aus denen das Wasser nach erfolgter Klärung in den Grauschwitzbach fließt. Nach Waschung werden die Kartoffeln durch einen Elevator in einen Vorratskasten befördert, aus dem sie in 2 eiserne Kartoffeldämpfer gelangen. Nachdem die Kartoffeln ca. 25 Minuten mit Abdampf der Dampfmaschine gedämpft worden sind, kommen sie durch eine Breischnecke auf die Walzentrockner. Hier wird die Kartoffelmasse dünn aufgepresst und durch den die eisernen Walzen durchströmenden direkten Dampf getrocknet und von den Walzen durch ½ mm star-ke Stahlmesser abgestrichen. Die Flocken fallen in dünnen Schleiern in eine Kühl- und Transportschnecke, die das Trockengut erfasst und nach den Speichern transportiert. Außer-dem kann dies durch vorhandenes Winddruckgebläse erfolgen. Durch eine Absackvorrich-tung gelangen die fertigen Kartoffelflocken in Säcke, so dass die die Kartoffeln bringenden Geschirre gleich Kartoffelflocken als Rückladung wieder mitnehmen. Die angelieferten Kar-toffeln werden auf Schmutz und Stärke untersucht. Nach dem Stärkegehalt wird die Ausbeu-te an Flocken errechnet. Bei guten, stärkereichen Kartoffeln werden zu 1 Ztr. Kartoffelflo-cken etwa 4 Ztr. Kartoffeln gebraucht, bei stärkearmen etwas mehr.
Die Fabrik hat in normalen Jahren während ihrer Betriebsperiode vom Herbst bis Frühjahr ca. 2000 000 Ztr. Kartoffeln getrocknet und ist in der Lage, weit mehr zu verarbeiten.
Die Genossenschaftsmitglieder haben für 1 Geschäftsanteil, der 100 Ztr. alljährlich zu lie-fernde Kartoffeln umfasst, 100 Mk. Stammeinlage nebst 100 Mk. Eintrittsgeld einzuzahlen und können sich beliebig hoch beteiligen. In den letzten Jahren ist wegen wirtschaftlicher Verhältnisse, insbesondere bei Mangel an Kartoffeln, Abstand genommen worden, die vollen Pflichtmengen zu trocknen; es wurden vielmehr nur Teilmengen angeliefert. Die Anlieferung der Kartoffeln nach der Fabrik erfolgt auf Abruf, durch Geschirr oder Bahn; die Kartoffelflo-cken empfangen die Mitglieder wieder zurück. Für die Herstellung der Flocken entrichten die Mitglieder Trockenkosten.
Im Kriege blieben die Kartoffelflocken durch Zwangsbewirtschaftung als nahrungsmittel hauptsächlich der Brotstreckung vorbehalten.
Die Mügelner Kartoffelflockenfabrik war die erste in Sachsen und eine der ersten in Deutschland.
Ihren Vorstand bildeten die Herren:

• Ökonomierat Arndt Uhlemann, Kammergut Mügeln,
• Ökonomierat Friedrich Rockstroh, Rittergut Schweta,
• Mühlengutsbesitzer Georg Gasch, Döhlen,
• Gutsbesitzer Hermann Däweritz, Grauschwitz,

Der Aufsichtsrat setzte sich zusammen aus den Herren:

• Gutsbesitzer Woldemar Müller Töllschütz,
• Gutsbesitzer Richard Gasch, Däbritz,
• Gutsbesitzer Arthur Nitzsche, Börtewitz,
• Gutsbesitzer Alfred Kratzsch Zävertitz,
• Gutsbesitzer Hermann Kraft, Zschannewitz,
• Gutsbesitzer Franz Krause, Zeicha.

Geschäftsführer: Richard Stölzel, Grauschwitz.
. (aus dem Heimatbuch von 1925)